Eigentlich stehen Zahlen, die in der Form 1.0 oder eben auch 4.0 geschrieben werden, für die jeweils völlig neue Version eines digitalen Gerätes oder einer Software. Die Schreibweise mit dem Punkt und einer Zahl dahinter beruht darauf, dass auch auf eine nur aktualisierte Version hingewiesen werden kann, zum Beispiel 1.1 oder auch 1.2. Es ist anzunehmen, dass irgendwann in der Vergangenheit des digitalen Zeitalters vielleicht ein Programmierer darauf kam, die Schreibform, wie Gesetze abgefasst werden (Bsp.: §1.3 Absatz 2, Zeile 4), zur besseren Übersicht seiner Programmversionen zu verwenden.
Das floss in der jüngeren Vergangenheit auch in andere Branchen ein. Das bekannteste Schlagwort hierzu ist sicher „Industrie 4.0“, das den industriellen Wandel hin zum digitalen Zeitalter verdeutlichen soll. Im gleichen Kontext ist Bauen 4.0 zu verstehen.
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Die Baubranche, vom Handwerk geprägt
Das Bauhandwerk ist schätzungsweise rund 15.000 Jahre alt und eines der ältesten Gewerbe der Menschheit, in dem aus verschiedenen Materialien ein Produkt hergestellt wird. Die Industrie hatte ihre Geburtsstunde erst tausende Jahre später.
Jetzt, nach so langer Zeit, steht das Bauhandwerk oder das Bauwesen an der Schwelle zur Digitalisierung, eben dem 4. Schritt. Der erste Schritt war wohl die Unterteilung in verschiedene Handwerksberufe. Dem folgte die Unterstützung durch Dampfkraft. Der dritte Schritt war die Elektrizität und nun die IT.
Was aber bedeutet der vierte Schritt für das Bauwesen?
Sicher ist das digitale Zeitalter in der Immobilie selbst längst angekommen. Moderne Häuser sind mit Sensoren und Aktoren ausgestattet, die eine Vielzahl an automatisierten Vorgängen und deren Überwachung erlauben. Heute kann der oder die Hausbesitzerin am Karibikstrand stehen und mittels entsprechender App auf dem Smartphone das Licht im 7.500 Kilometer entfernten Wohnzimmer ausschalten oder die Rollladen hoch- und runter lassen. Regensensoren schließen Dachfenster automatisch, wenn die ersten Tropfen fallen und Kameras senden per W-LAN Videos von dem, was im und rund um das Haus so vorgeht.
Wenn von Bauen 4.0 die Rede ist, bezieht sich dies hauptsächlich auf die Vorgänge auf einer Baustelle und da gibt es durchaus Optimierungsbedarf.
Es bestehen aktuell 5 größere Herausforderungen in der Baubranche, die mithilfe digitaler Unterstützung zumindest verbessert werden können.
- Sicherheit
- Ausrüstungsüberwachung
- Produktivität
- Nachhaltigkeit
- Fachkräftemangel
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Was bedeutet Bauen 4.0 in Bezug auf die Sicherheit auf Baustellen?
Für das Jahr 2020 verzeichnet die Statistik der DGUV, der gesetzlichen Unfallversicherung, 689.656 meldepflichtige Unfälle auf deutschen Baustellen. Der größte Posten sind hierbei, mit 205.513 Vorkommnissen, Unfälle aus der Bewegung heraus, also stolpern und fallen. Dazu bietet sich im Rahmen von Bauen 4.0 die Überwachung der Baustelle mittels CCTV-Kameras und Drohnen an. Dabei werden die aufgenommenen Einzelbilder mit einer künstlichen Intelligenz ausgewertet und potenzielle Gefahrenstellen lokalisiert. Das kann die unsachgemäß angebrachte Brüstung am Gerüst sein oder ein ausgehärteter Klumpen Beton auf dem Estrich, der so lange übersehen wird, bis einer darüber stolpert. Diese Art der Baustellenüberwachung eignet sich nicht nur für Großbaustellen. Inzwischen ist das Preisgefüge für Soft- und Hardware so günstig, dass sie auch auf Baustellen von Ein- und Zweifamilienhäusern eingesetzt werden können. Noch einen Schritt weiter gehen Wearables, die Maschinenführer/-innen, etwa auf dem Kran oder der Straßenwalze, auf Anzeichen von Stress und Müdigkeit überwachen.
Die Ausrüstungsüberwachung, bevor die Reparatur teuer wird
Auf jeder Baustelle findet sich eine beträchtliche Anzahl unterschiedlicher Maschinen und Geräte, die regelmäßig gewartet werden „sollten“. Im Rahmen der „Predictive Maintenance“ können Sensoren bestimmte Parameter der Geräte überwachen und Alarm schlagen, wenn beispielsweise der Verschleiß einen Grenzwert überschreitet, der eine Gefahr für die Betriebstauglichkeit darstellt. Diese vorbeugende Wartung kann nicht nur Reparaturkosten um bis zu 10 % senken, sie kann auch die Wartungsplanung um bis zu 20 % reduzieren. So ganz nebenbei können mithilfe der Sensoren die Geräte und Maschinen aufgespürt werden, wenn niemand mehr weiß, wo sie auf der Baustelle zuletzt verwendet wurden.
Die Produktivität auf der Baustelle erhöhen
Eine nicht geringe Anzahl an Vorgängen auf Baustellen werden in der Abfolge aufgrund von Erfahrungswerten geleistet. So etwa die Regel, dass der frisch gelegte Estrich nach 12 Stunden begehbar ist. Nun kann es aber sein, dass aufgrund der Wetterlage der Estrich schon viel früher begehbar ist. Sensoren können dies sehr genau erfassen und damit in den Bauprozessen viel Zeit einsparen. Gerade Beton mit seinen sehr unterschiedlichen Aushärtezeiten, abhängig von den Zuschlagstoffen und den Additiven, bietet hier Raum für Zeitersparnis und die Optimierung des Personaleinsatzes.
Nachhaltigkeit durch Energieeinsparung und optimierter Lieferkoordination
Dass in fertiggestellten Gebäuden viel Energie eingespart werden kann, wenn Versorgungssysteme zielgerichtet funktionieren, ist schon länger bekannt. Etwa Licht und Heizung ausschalten oder reduzieren in ungenutzten Räumen. Dafür finden sich heute überwiegend nachträglich verbaute Lösungen. Besser ist es jedoch, wenn die entsprechenden Sensoren und Aktoren schon in der Bauphase integriert werden und ein Gesamtsystem bilden. Das erlaubt eine genaue Energieverbrauchsplanung sowie die Überwachung aller Verbraucher, um bei Auffälligkeiten einschreiten zu können. Nachhaltigkeit ist aber auch durch eine optimierte Planung von Bauelementen und deren Vorfertigung erreichbar. Etwa Zwischenwände inklusive Türen, die in der Fabrik gefertigt werden und nur zur Montage auf die Baustelle geliefert werden. Das ist nicht nur kostengünstiger, sondern aufgrund von Ressourceneinsparung nachhaltiger als die Wand vor Ort hochzuziehen. Das aber braucht eine optimierte Lieferkette und hier kann zum Beispiel das IoT, Internet of Things, eine Rolle spielen. Die Fertigstellung wird automatisch von der Fabrik an die Fahrzeugdisposition gemeldet und von dort an die Baustellenplanung. Keine Bauteile mehr, die erst mal bei Wind und Wetter darauf warten, verbaut zu werden, weil Personalplanung und Fertigung nicht miteinander koordiniert sind.
Bauen 4.0 kann den Fachkräftemangel abmildern und Bauberufe attraktiver machen
Zum einen sorgt eine umfassende Vorfertigung von Bauelementen für eine Verlagerung von Arbeitsplätzen von der jedem Wetter ausgesetzten Baustelle in trockene und entsprechend angenehme Fabrikarbeitsplätze. Zum anderen sorgt die Vorfertigung dafür, dass viele bisher eher mühsame Arbeitsgänge auf der Baustelle wegfallen. Die Arbeitsplätze auf Baustellen erhalten zugleich eine Aufwertung, denn der Umgang mit Sensoren, Aktoren und sensibler Steuertechnik erfordert Zusatzausbildungen, die sich durch höhere Löhne bezahlt machen. Bauen 4.0 ist so ein Gewinn für die Baubranche, allerdings müssen die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden.